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Gallery Weekend Berlin 2021
Paula Modersohn-Becker, Birgitt Bolsmann, Almut Heise, Rissa

Paula Modersohn-Becker (1876–1907) zählt heute zu den prägenden Persönlichkeiten der europäischen Moderne um 1900. Ihre frühen Arbeiten kennzeichnet die vom Realismus des 19. Jahrhunderts inspirierte, naturgetreue Wiedergabe des Modells. Sie setzt sich dann aber mit Künstlern wie Cézanne, van Gogh und Gauguin auseinander und entwickelt die ihr eigene Bildsprache einer radikalen Formvereinfachung. Neben den Gemälden von Modersohn-Becker, die auf Monumentalität und Flächigkeit angelegt sind, stehen in unserer Ausstellung Werke von Birgitt Bolsmann, Almut Heise und Rissa – drei Künstlerinnen, die bewußt die Gegenständlichkeit ins Zentrum ihrer Malerei rücken. Damit gehören sie zu der in den frühen 1960er Jahren aufkommenden Bewegung, die sich von Abstraktion und Informel abwendet.

Rissa (*1938), die 1959–1965 bei K.O. Götz in Düsseldorf studiert, entscheidet sich 1964, nach Auseinandersetzung mit Kubismus, Expressionismus und Informel, für eine neuartige figurative Malerei, die sie als Synthese gegenstandsbezogener und abstrahierender Ansätze versteht. Ihre malerische Konzeption fußt nicht auf plastischer Modellierung, sondern auf kleinteiligen Form-Farbstrukturen, die im Nebeneinander die Konturen der Bildobjekte ergeben. Rissas monumentales Gemälde Das große Paar (1980) zeigt deutlich, wie in einem Bildraum ohne perspektivische Anlage flächig nebeneinandergesetzte »Farbschnipsel« mit glattem Farbauftrag das Bild so rhythmisieren, dass die Binnenformen nahezu autonom-abstrakte Parzellen bilden, die einem ganz eigenen Muster folgen.

Ganz anders die sorgfältig konstruierten Kompositionen von Almut Heise (*1944). Die Künstlerin, die in den 1960er Jahren in Hamburg bei Gotthard Graubner und David Hockney und 1970–71 in London bei Peter Blake Malerei studiert, empfängt Impulse aus der englischen Pop Art, aber auch die Malerei der Neuen Sachlichkeit und Maler wie Balthus oder Francis Bacon waren für sie wichtig. Detailliert schildert Heise in ihren minutiös ausgeführten Arbeiten Innenräume nebst Personenrepertoire. Jeder Faltenwurf, jedes Tapetenmuster und jede Geste werden so lange erprobt, bis die »ersehnten Räume« entstehen. Dabei verrückt ein Gemälde wie Große Museumsszene I (1989) den im musealen Kontext gängigen Sektempfang in eine kühle, surreal anmutende Szenerie, indem es wie auf einer Bühne antikisierendes Skulpturenfragment und Gipskopie mit zwei herausfordernd aus dem Bild blickenden Akten und einer Design-Ikone der '50er Jahre vorführt.

Auch Birgitt Bolsmann (1944–2000) versucht sich noch während ihres Studiums in Hamburg bei Hans Thiemann und Kurt Kranz an einer gegenständlichen Bildsprache. Ihre Motive findet sie großenteils in der Modefotografie und plakativen Werbung, die sie auf das darin propagierte Frauenbild hin betrachtet. In einem vielschichtigen Malprozess fixiert sie glasklar mit einer kühlen Farbgebung ihre Sujets. Ihren kritischen Blick auf die männlich geprägte Kunstwelt spiegelt das großformatiges Gemälde Die Flucht aus dem Patriarchat (1986) wider: In einem à la de Chirico konstruierten Bildraum hält das jahrhundertelang tradierte Ideal der Bildhauerkunst, Michelangelos David, eine Schlange – Symbol des Weiblichen – fest im Griff, während zwei weibliche Figuren dieser Bühne eiligst entfliehen.